Amsterdam sieht Rot

amsterdam_red_light1 Sexarbeiterinnen verlieren zugunsten zweifelhafter Ausstellungsräume ihren Arbeitsplatz. Auf dem Kopfsteinpflaster rund um die Oude Kerk, die Alte Kirche im Herzen des Rotlichtviertels von Amsterdam, klappern keine hochhakigen Absätze. Stattdessen sind in den schmalen Gassen knappe, kokett werbende Klopfgeräusche an Schaufenstern, klappende Türen und geschäftige Schritte zu hören.

Manchmal enden letztere abrupt vor einem der Schaufenster, um dann vom schweren tiefroten Samt zugezogener Türvorhänge verschluckt zu werden. Geht es nach den Plänen der Stadt, wird das sichtbare Sexgewerbe neuen Gentrifzierungskonzepten weichen. Im gleichen Atemzug soll das Rotlichtviertel, ein Markenzeichen der Metropole, umgedeutet werden.

Es wird langsam dunkel. Hellrote Leuchtstoffröhren umrahmen einfache Glastüren und strahlen jetzt noch imposanter als bei Tageslicht. Sie zeigen an, dass hier der Sexarbeit nachgegangen wird. 24 Stunden lang, sieben Tage die Woche. In den sogenannten Sex-Schaufenstern spiegeln sich die verwinkelten, von der Zeit in Mitleidenschaft gezogenen Zinnen und bogenförmigen Fenster der Kirche wieder. Die Gleichzeitigkeit von Religion und Prostitution hat in diesem Stadtteil seit dem dreizehnten Jahrhundert Tradition. Gern gesehen wurde es damals nicht. Sexarbeiterinnen galten als Opfer männlicher Begierden und fanden sich häufig in Rehabilitationshäusern wieder, die sie zurück auf den Pfad der Tugend führen sollten.

“Damals wurden Frauen für ihre Arbeit bestraft. Heute werden sie wieder bestraft. Obwohl es damals wie heute ganz Andere treffen sollte,” kommentiert Berna Meijer vom Informationszentrum für Prostitution in Amsterdam. In einem abgelegenen Winkel der Oude Kerk versammelt die dynamische Mittdreißigerin eine kleine Gruppe von TouristInnen um sich. “Bitte stellen Sie sich während unserer Tour nicht direkt vor die Fenster der Sexarbeiterinnen”, merkt sie an. “Die Damen können schlecht ihre Dienstleistungen anbieten, wenn wir den Blick versperren”, fügt sie hinzu und streicht sich schmunzelnd ihr rotbraunes Haar aus dem Gesicht. “Wir haben lange und hart daran gearbeitet, Prostitution aus ihrem Schattendasein zu befreien. Wenn sie in diese Ecke zurückgedrängt wird, dann wird es gefährlich.” Meijer, die studierte Sozialwissenschaftlerin mit einem Abschluss in der Geschichte der Prostitution von Amsterdam, weiß, wovon sie spricht.

“Erotisches“ Design

Im Verlauf der Rotlichtviertel-Tour bezieht sie sich immer wieder kritisch auf die aktuelle Politik der Stadt. In den Niederlanden sind Bordelle zwar seit dem Jahr 2000 legal. Sexarbeit kann dort als eigenständiges Gewerbe angemeldet werden. Aber im September 2007 hatte Amsterdams Bürgermeister Job Cohen angekündigt: “Fensterbordelle zu schließen gehört zum Kampf gegen Menschenhandel und Schattenwirtschaft.”

Damals erwarb die staatliche Wohnungsbaugenossenschaft kurzerhand 18 Gebäude mit 51 sogenannten Sex-Schaufenstern zum Preis von insgesamt 25 Mill. Euro. Dabei bediente sie sich einem juristisch-politischen Instrument namens Bibob. Mit dessen Hilfe wird die Herkunft der Einnahmen von Rotlichtunternehmern unter die steuerrechtliche Lupe genommen. Falls ein Immobilienerwerb dem Zweck der Geldwäsche gedient hat, kann der Bürgermeister den Betreibern ihre Lizenz entziehen. Anderen Eigentümern gefällt die anvisierte Veränderung des Viertels nicht. Sie verkauften ihre Immobilien freiwillig. Bis heute brachte die Stadt, beziehungsweise die staatliche Wohnungsbaugenossenschaft, so insgesamt 40 Gebäude in ihren Besitz. Vorgesehen ist, die Hälfte der 482 Schaufenster und damit die Arbeitsräume vieler Sexarbeiterinnen zu schließen.

Seit Anfang 2008 soll das städtische Konzept “Red Light Fashion” den angeschlagenen Ruf des Viertels verbessern: DesignerInnen stellen jetzt in 16 ehemaligen “Sex-Schaufenstern” ihre Produkte aus. Mietfrei. Mit der Umsetzung der Idee verloren Sexarbeiterinnen ihren Arbeitsplatz. Der musste Ausstellungsräumen unentdeckter, aber umso ambitionierterer Talente weichen.

Zu sehen sind Ledertaschen in Körperform, die auf den Namen Aphrodite hören, Hemden aus Packpapier und Pumps mit blauem Wildleder im Fischdesign. Die Mehrzahl der Ausstellungsgegenstände stellt den eher verzweifelt anmutenden Versuch dar, das Thema Sex oder Sex-Industrie künstlerisch aufzugreifen. „Red Light Design“ präsentiert sich als angeblich progressives Programm der Stadt. Wie die Installation von Ted Noten, einem stadtbekannten Künstler. In einem ehemaligen Schaufenster finden sich dessen strahlend gelbe Produktklappen im Stil der niederländischen Fastfood-Kette FEBO. Statt frittierter Leberwurstkroketten sind auf den Essenspappen Plastikringe drapiert. In verspielten Lettern prangt über der Schnell-Schmuck-Ausgabe “Sei nett zu einem Mädchen und kauf´ ihr einen Ring”. “Das sind einfach billige Plastikringe aus China. Die taucht er dann in rote Farbe und verkauft sie für nur 2,50 Euro”, erläutert ein junger Herr, der gleich drei Ringe erworben hat, “Jetzt habe ich wenigstens etwas von Ted Noten”.

Hausbesetzungen verhindern

Was wie eine neue Form des Straßentheaters wirkt, ist der sichtbar gewordene Gentrifizierungsplan der Stadt. Der trägt den schlichten Titel “Projekt 1012”, benannt nach der Postleitzahl des Bezirks, und sollte das “Herz von Amsterdam” im Sturm erobern. Nett wollte die Stadt wohl auch sein, als sie die historischen Gebäude im Rotlichtviertel erwarb, kurzerhand die Fensterbordelle zumachte und meinte, so gegen den Menschenhandel in der Sexindustrie vorzugehen.

Sanne Kroon von der Nichtregierungsorganisation Bonded Labour in the Netherlands (BLinN), die sich mit Formen der “modernen Sklaverei” beschäftigt, sieht das ganz anders. BlinNs Büro befindet sich in einem ebenerdigen Kubus mit Glasfront, an einer belebten Einkaufsstraße, jenseits der umstrittenen Zone. “Wenn es wirklich darum geht, moderne Sklaverei zu verhindern, sollten die Menschen geschützt werden, denen geholfen werden soll. Das ist von Seiten der Stadt überhaupt nicht geschehen.” Vielmehr sieht die resolute Campaignerin andere Zielsetzungen hinter den geschilderten Maßnahmen. “Das Image von Amsterdam soll umstrukturiert und das seichte Unterhaltungsangebot abgeschafft werden. Der besagte Kampf gegen den Menschenhandel ist nur eine Ausrede, um solche Pläne durchzusetzen. Das hier hat absolut gar nichts damit zu tun, Opfer moderner Sklaverei zu schützen.”

Zahlen zu Opfern von Menschenhandel im Rotlichtbezirk oder in der Sexindustrie in Amsterdam habe sie nicht. Und die veröffentlichten Zahlen der Polizei seien sehr gewagt. Angeblich würden 50-90% der Frauen dazu gezwungen, in der Prostitution zu arbeiten. “Ohne zu definieren, was die Polizei mit gezwungen meint. Das bedeutet jedenfalls nicht, dass ein Großteil der Frauen, die in der Sexindustrie arbeiten, Opfer von sogenanntem Menschenhandel sind”, betont Kroon nachdrücklich.

Schlichtweg bizarr findet sie das Vorgehen der Stadt. “Kriminelle Aktivitäten hören doch nicht auf, wenn man jemandem ein Gebäude wegnimmt und die Fenster der Frauen schließt.” Je weniger legale Bordelle es gebe, desto mehr wanderten Sexarbeiterinnen in den informellen Sektor ab. Der könne noch weniger kontrolliert werden. Außerdem seien Frauen dort viel gefährdeter und anfälliger für Ausbeutungsverhältnisse.

Schließlich vergleicht die Campaignerin die Situation mit einem anderen Gewerbe. “Wenn sich in einer bekannten Shoppingmeile mit großen Marken wie Chanel und Gucci herausstellt, dass die Hausbesitzer in kriminelle Machenschaften verwickelt sind, kann ich mir kaum vorstellen, dass alle Schaufenster einfach geschlossen und die Geschäftsleute heraus geworfen würden. Denen würde ein anderer Ort in der Stadt angeboten werden. Und genau das ist mit den Prostituierten nicht passiert.”

Welche Probleme das mit sich bringt, skizziert Metje Blaak, ehemalige Sexarbeiterin und Pressesprecherin der Sexarbeiterinnengewerkschaft “De Rode Draad”. “Die Frauen tauchen einfach unter. Wohin sie gehen, wissen wir nicht.” Einfach hinnehmen wolle die Gewerkschaft solche Entwicklungen jedenfalls nicht. Aber eine traditionelle Demonstration zu organisieren sei schwierig. “Die Frauen möchten ihr Gesicht nicht in der Zeitung sehen. Viele von ihnen führen schließlich ein Doppelleben”, erklärt Blaak.

Widerstand regt sich auch am Ort des Geschehens. Plakate mit den Worten “Hände weg von den Wallen”, wie das Viertel geschichtsbewusst genannt wird, zieren Bars, Souvenirläden und Coffeeshops. Als unaufgeregte Illustration dient ein umfallender Begrenzungspoller, der durchaus mehrdeutig gelesen werden kann. Die Seitenstraßen um den Oudezijds Achterburgwal, die Hauptader des Sexgewerbes, sind jetzt als “hohes Risikogebiet” eingestuft. Die AnwohnerInnen scheinen davon wenig beeindruckt. “Sexarbeit und Drogen haben hier immer dazu gehört. Wo es Gesetze gibt, werden sie gebrochen”, erklärt eine ältere Dame stoisch.

Das vermeintlich erotische Modekonzept, das jetzt in die Schaufenster eingezogen ist, kommt bei vielen nicht an. Kaufen könne man nichts, es gebe keine Interaktion mit den DesignerInnen. Das Ganze sei wenig transparent. Ein gemütlich wirkender Endzwanziger ereifert sich. “Es kann doch nicht einfach dort Mode ausgestellt werden, wo vor kurzem noch jemand seinen Arbeitsplatz hatte. Schließlich gibt es kein Problem mit der Prostitution, sondern vielmehr mit betrunkenen britischen Touristen.” Nichtsdestotrotz können die DesignerInnen bis zum Sommer dieses Jahres in den Räumen bleiben. Ein weiteres Nutzungskonzept der Stadt ist der Öffentlichkeit bisher nicht vorgestellt worden.

Untertauchen

Marieke van Doorninck, Abgeordnete der Grün-Linksfraktion im Stadtparlament, überrascht das nicht. “Red Light Fashion ist vor allem eine Maßnahme gegen Hausbesetzungen”, erläutert sie. Mit Hilfe der Bibob-Regelung habe die Stadt erst einmal historische Gebäude zurückgekauft und strebe nun die Veredelung und Aufwertung des gesamten Stadtteils an. “Nur verläuft diese Aufwertung immer nach dem gleichen Muster, so dass sich Stadtzentren weltweit immer ähnlicher sehen”, kritisiert sie. Stattdessen plädiert van Doorninck, die in den Ausschüssen für Stadtentwicklung und Sozialpolitik in Amsterdam arbeitet, für eine “Schau der Vielfalt und Toleranz” im Rotlichtviertel. Denn bisher sei die Unterhaltungsindustrie im umstrittenen Bezirk eine reine Monokultur.

Als wissenschaftliche Expertin auf dem Gebiet der Sexarbeit merkt van Doorninck außerdem an, dass die Legalisierung von Sexarbeit im Jahr 2000 noch nicht eingebettet worden sei. Sexarbeiterinnen sollten arbeitsrechtlich, sozial und politisch ermächtigt werden. Außerdem müsse auch neuen EntrepreneurInnen in der Sexindustrie der Weg geebnet werden. “Aber von Vernunft ist diese Debatte nicht geprägt”, bemerkt sie kopfschüttelnd.

Im umstrittenen Herz der Stadt glitzert das Rotlicht der Leuchtstoffröhren in den Grachten. Nur eine Dame steht noch draußen, in dem Land, in dem Straßenprostitution illegal ist: Belle. In hochhakigen Pumps stemmt sie selbstbewusst ihre Hände in die bronzefarbenen Hüften. Ihr Haar ist hochgesteckt. Im Schatten der Oude Kerk fällt sie kaum auf. Belle ist eine ein Meter hohe Statue. Ein Denkmal mit der Inschrift: “Respektiert Sexarbeiterinnen auf der ganzen Welt.”

Ganz in der Nähe beendet Berna Meijer ihren Rundgang mit einem ähnlichen Plädoyer: “Die Frauen sollten die Chance bekommen, selbst zu bestimmen: über ihr Leben, ihren Körper und ihr Geschäft.” Hinter ihr wird wieder ein Vorhang zugezogen. Wie zur Bekräftigung ihrer Worte.

Text: Nina Schulz
Alle Fotos: Elisabeth Mena Urbitsch

Veröffentlichungen:

Reportage Amsterdam sieht Rot, analyse&kritik, 20.03.2009, S.26-27


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