Abgelaufene Solidarität

arslan6 Dreizehn Jahre nach dem Brandanschlag von Mölln kämpfen die Überlebenden noch immer: mit Behörden, leeren Versprechungen und der eigenen Erinnerung.

Hava Arslans Stimme wird leise und ruhig, wenn sie von der Brandnacht spricht. „An diesem Tag bin ich gestorben“, erzählt sie in sich gekehrt. „Immer, wenn dieser Tag naht, denke ich daran, dass ich wieder sterbe.“ Am 23. November 1992 wurden ihre Tochter Yeliz, ihre Schwiegermutter Bahide und ihre Nichte Ayse Yilmaz durch einen Brandanschlag umgebracht. „Danach hat sich die Welt um 180 Grad gedreht“, berichtet die Überlebende.

Am 23. November 1992 gegen 01:00 Uhr warfen die Neonazis Michael Peters und Lars Christiansen mehrere Molotow-Cocktails in das Haus in der Möllner Altstadt. Dann riefen sie bei der Polizei an: „In der Mühlenstraße brennt es. Heil Hitler.“ Bereits um 00:30 Uhr hatten sie einen ersten Brandanschlag auf die Ratzeburger Straße 13 verübt. Dort wohnten ebenfalls Personen türkischer Herkunft. Neun von ihnen erlitten schwere Verletzungen. In der Mühlenstraße 9 aber griff das Feuer vom Treppenaufgang auf das Obergeschoss über. Hava Arslan rettete ihrem siebenmonatigen Sohn Namik das Leben, indem sie ihn aus dem Fenster des zweiten Stocks in die Arme von Helfenden warf. Dann sprang sie selbst. Ebenso wie ihre Schwägerin Ayten mit ihrem Sohn. Alle drei zogen sich schwere Verletzungen zu. Havas siebenjähriger Sohn Ibrahim wurde von der Schwiegermutter Bahide in Tücher gewickelt. Neben dem Kühlschrank verbarg sie ihn vor den Flammen. Dort harrte er aus. Erst nach Stunden barg ihn die Feuerwehr. Als das Feuer ausbrach, hielt sich Faruk Arslan in Hamburg auf. Bis ihn ein Freund anrief: „Euer Haus brennt“. Als Faruk Arslan in Mölln ankam, brannte es noch immer. Für seine 51-jährige Mutter Bahide Arslan, seine zehnjährige Tochter Yeliz und seine vierzehnjährige Nichte Ayse Yilmaz kam jedoch jede Hilfe zu spät.

Schon seit längerem dominierte die Asyldebatte das bundesdeutsche Tagesgeschehen. Vorausgegangen waren dem tödlichen Brandanschlag von Mölln bereits rassistische Ausschreitungen in Hoyerswerda im September 1991 und in Rostock-Lichtenhagen im August 1992. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) sprach im Oktober von einem „Staatsnotstand“, der durch Asylbewerber ausgelöst werde.

“Beileidstourismus”

Aus der gesamten Bundesrepublik und aus dem Ausland trafen nach den Morden von Mölln Beileidsbekundungen für die Opfer ein. Die spontanen Solidaritätskundgebungen und Lichterketten bezeichnete Kohl als „Beileidstourismus“. Der ehemalige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins Engholm (SPD) und Bundesarbeitsminister Blüm (CDU) fuhren zum Ort des Geschehens und sprachen mit den Hinterbliebenen. Versprochen wurde ihnen vieles. Gehalten nur wenig. Letztendlich sei es den Politikern vor allem um das Ansehen Deutschlands gegangen und nicht um die Betroffenen, stellt Faruk Arslan fest. Im Brandhaus sollte ein Dokumentationszentrum über die Brandanschläge eingerichtet werden. Der Rest des Gebäudes war als Wohnraum für die Familie Arslan gedacht. 1996 rief die Kleinstadt eine Begegnungsstätte ins Leben. Ein eigenes Dokumentationszentrum entstand jedoch nie. Erst 1999 benannte die Stadt Mölln das Gebäude nach Bahide Arslan und brachte an dem Haus eine Gedenktafel mit den Namen der drei Ermordeten an. Von einem neofaschistischen Brandanschlag ist darauf nichts zu lesen. Aber in dem Haus zu leben, hielt die Familie nicht lange aus. „Jeden Tag mussten wir über die Stelle laufen, an der wir unsere Liebsten verloren haben“, schildert Faruk Arslan.

Deswegen zog die Familie vor fünf Jahren aus Mölln weg. „Wir wollten ein neues Leben anfangen“, berichtet der Familienvater. Denn alle erwachsenen Familienmitglieder sind schwer traumatisiert und kämpfen bis heute mit den seelischen und körperlichen Folgen des Brandanschlags. Die Ämter machten ihnen jedoch einen Strich durch die Rechnung. An den ersten Besuch beim Sozialamt erinnert sich Faruk Arslan noch genau. Die zuständige Sachbearbeiterin stellte ihn zur Rede, wer er denn eigentlich sei. Dann erzählte er, von dem Brandanschlag, von der Familie, von ihrem geplanten Neuanfang. Der darauffolgende Satz geht ihm bis heute nicht aus dem Kopf: „Da hat sie wortwörtlich zu mir gesagt: „Sie haben noch keinen Terror gesehen. Der Terror fängt jetzt erst an.“

Terror

Der Terror äußerte sich von da an jeden Monat in einer Mischung aus Willkür, Respektlosigkeit und bürokratischen Drohgebärden. Das Sozialamt zahlt die Leistungen entweder gar nicht oder erst Wochen später. Ständig muss die Familie Unterlagen einreichen, entweder neue oder alte, bereits beigebrachte. 2002 schalteten sie den Anwalt Joachim Schaller ein. „Außer eines Mitarbeiters beim Rechtsamt des Bezirksamts hat bisher keine zuständige Stelle die besondere Situation der Familie berücksichtigt“, kritisiert der Rechtsanwalt. „Stattdessen werden sie als lästige Antragssteller behandelt“, fährt er fort.

Neben den monatlichen Auseinandersetzungen mit dem Sozialamt bemüht sich der Sozialrechtsspezialist auch um Opferentschädigung für die Arslans. Eine Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz hat bisher nur Ibrahim Arslan erhalten. Die wurde ihm Anfang 2005 wieder aberkannt. Die Schädigungsfolgen erreichen nach Ansicht der Behörde keinen rentenberechtigenden Grad mehr. Ebenso wie bei seiner Mutter, Hava Arslan. Gegen beide Bescheide klagt der Anwalt und beruft sich auf ärztliche Atteste. Für Faruk Arslan versäumte es die damalige Rechtsanwältin einen Antrag auf Opferentschädigung zu stellen. Das holte Rechtsanwalt Schaller 2002 nach. Denn der Familienvater ist aufgrund des Brandanschlags erwerbsunfähig. Der Antrag wurde abgelehnt. Angeblich sei keine Schädigungsfolge feststellbar, die auf den Brandanschlag zurückzuführen sei. Der Antrag befindet sich im Widerspruchsverfahren.

Niemals ruhen

Dem diesjährigen Gedenktag schaut die Familie mit Skepsis entgegen. Im letzten Jahr erhielt sie einen Brief des Möllner Bürgermeisters. Darin bat Wolfgang Engelmann vom „appellativen Charakter eines Schweigemarsches abzusehen.“ Gegenüber der FR betonte er, dass der Schweigemarsch bei der türkischen Bevölkerung Möllns Angst ausgelöst hätte. „Einige dachten, ein Schweigemarsch könnte provozieren und Auslöser für erneute Bedrohungen von rechts sein“, behauptet der Bürgermeister. Seitdem hält die Stadt eine andere Form des Gedenkens für angemessen. Sie begeht den Tag mit einer stillen Andacht vor dem Brandhaus und einem ökumenischen Gottesdienst, der im Wechsel in der Moschee, der katholischen und evangelischen Kirche und in der Begegnungsstätte „Miteinander Leben“ stattfindet. Das Verhältnis zur Familie sei seit ihrem Umzug „ein wenig eingeschlafen.“ Für die Arslans stellt sich das jedoch anders dar. 2003 ging die Familie nach den Gedenkfeierlichkeiten in die Begegnungsstätte. „Dort wurden wir nicht einmal begrüßt. Nicht einmal ein Tee wurde uns angeboten“, kritisiert Faruk Arslan. Manchmal hätten sie das Gefühl, Mölln sei sehr froh, dass sie weg seien. Aber Hava Arslan betont entschlossen „Wir werden immer wieder da sein.“ „Mölln würden das Geschehene gerne unter den Tisch kehren“, sagt ihr Mann. „Aber das geht nicht, weil die Familie Arslan noch lebt und die Kanzlei Schaller auch. Sie wissen, dass das niemals ruhen wird.“

Vieles ruht auch heute nicht für die Familie. Deswegen haben sie sich entschlossen, ein Buch über ihr Leben zu schreiben. Aber „einige Leute wird es natürlich nicht freuen, was wir schreiben“, vermutet Faruk Arslan. „Denn von der Gerechtigkeit hat bisher keiner erzählt“, sagt er. Das solle jetzt anders werden. Auf der Website der Stadt Mölln ist für den 23. November, 2005 eine naturkundliche Führung im Bereich des Möllner Wildparks angekündigt.

Text: Nina Schulz
Alle Fotos: Elisabeth Mena Urbitsch

Hintergrund:

Die Täter Michael Peters und Lars Christiansen, die beide der neofaschistischen Skinhead-Szene angehören, wurden gefasst. Im Dezember 1993 verurteilte sie das Oberlandesgericht Schleswig nach 47 Verhandlungstagen wegen Mordes und besonders schwerer Brandstiftung zu Höchststrafen. Peters (damals 25) zu einer lebenslangen und Christiansen (damals 19) nach Jugendstrafrecht zu 10 Jahren Freiheitsstrafe. Als Chef einer Neonazigruppe war Peters bereits zuvor an Überfällen auf Asylbewerberheime beteiligt gewesen. Beide widerriefen ihre vorherigen Geständnisse. Christiansen ist seit Juni 2000 auf Bewährung entlassen.

Veröffentlichungen:

Artikel Abgelaufene Solidarität, Frankfurter Rundschau, 23.11.2005
Artikel Mölln-dreizehn Jahre später: Wir werden immer wieder da sein, analyse&kritik, 16.12.2005


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